document Neupfarrplatz

(Silvia Codreanu-Windauer und Marianne Schmidt)

Durchgang im document während der Ausgrabungen
Als im August 1995 auf dem Neupfarrplatz begonnen wurde eine Baugrube für eine Traffostation auszuheben, stieß die Baggerschaufel knapp unter dem Pflasterbelag auf Mauerwerk. Wider Erwarten waren hier, innerhalb des Bunkerauges, die Reste der jüdischen Häuser besonders gut erhalten geblieben. Das Wissen um die Existenz eines blühenden jüdischen Viertels war seit der Vertreibung der Gemeinde und der Zerstörung der 40 Gebäude im Jahre 1519 nie verloren gegangen. Durch die letzten fünf Jahrhunderte ziehen sich die Nachrichten von im Erdboden verschwundenen Menschen und eingebrochenen Fuhrwerken auf dem Neupfarrplatz. Die Ursache dieser Unfälle war die schlechte, nicht verdichtete Verfüllung vieler Kellerräume, die unter dem gesamten Neupfarrplatz mit ihren Gewölben erhalten geblieben sind.

Die jüdische Gemeinde im Mittelalter

Die Regensburger Juden, bereits 981 urkundlich genannt, gehörten im Mittelalter zu den größten und bedeutendsten Gemeinden in Deutschland. Im frühen 11. Jahrhundert taucht schon der Begriff "habitacula judeorum", Wohnstadt der Juden, in den Schriftquellen auf, doch die Lage ihres Viertels innerhalb der Mauer unseres römischen Legionslagers lässt eine Ansiedlung im achten Jahrhundert vermuten, war doch diese Lagermauer mindestens bis 920 die Befestigung und Sicherung der aufstrebenden Metropole Regensburg. Das jüdische Viertel erstreckte sich auf ca. 14.000 qm von der via prinzipalis sinistra - der heutigen Gesandtenstraße bis in die Tändlergasse hinein, von hier lief die Nordgrenze mit einigen Versprüngen zur Residenzstraße (die bis 1803 Judengasse hieß). Die gesamte Westhälfte des großen Kaufhauses, unter dem noch ein schöner frühgotischer Keller erhalten blieb, bildete die Ostgrenze des Areals. Eine Mauer, die angeblich das Judenviertel umschlossen hat, ließ sich auch mit der Ausgrabung nicht nachweisen. Diese Mauer hat es nie gegeben, statt dessen bildete die mehr oder weniger geschlossene Aneinanderreihung der Häuserfassaden die Grenze zu den benachbarten christlichen Gebäuden. Nur archivalisch sind die Türchen zu belegen, mit denen die Juden ihr Viertel abends und an hohen Feiertagen absperren konnten. Spätestens seit dem vierten Laterankonzil verlangte die Kirche von den Juden, dass sie an den Kartagen ihre Tore geschlossen halten und den Christen fern bleiben sollten.

Durchgang im document während der Ausgrabungen
Über viele Jahrhunderte war das Leben der Regensburger mit ihrer jüdischen Gemeinde von Toleranz und Zusammenarbeit geprägt. König und Herzog übten über sie Schutzfunktionen aus. Diesen Schutz übernahm seit dem 13. Jahrhundert die Reichsstadt selbst. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Regensburger Juden konnten sich parallel zu denen der Stadt entwickeln. Das Hochmittelalter sah eine prosperierende Judengemeinde, deren Mitglieder ebenso am Fernhandel beteiligt wie sie im Geldgeschäft tätig waren. Sie hatten auch Grundbesitz.

Der Rat der Stadt ließ es sich angelegen sein, seine Judenschaft vor allen Übergriffen zu schützen. So musste Regensburg im 14. Jahrhundert keine jener zahlreichen Judenverfolgungen erleben, wie sie in den umliegenden Gebieten zu dieser Zeit gang und gäbe waren. Den brutalen Progromen fielen zu Pestzeiten andernorts mehr Juden zum Opfer als an der Seuche starben. Die Juden erfuhren in Regensburg aber nicht nur Schutz, sie waren darüber hinaus auch hochgeachtet.

Gold aus dem jüdischen Viertel

Gold aus dem jüdischen Viertel

In diesem gesellschaftlichen Zusammenhang sind auch die Schatzfunde im ehemaligen Judenviertel zu sehen. Im Sommer 1996 wurden bei den archäologischen Untersuchungen eines jüdischen Kellers 624 Goldmünzen gefunden. Sie waren, dicht gepackt in drei kleine Keramikgefäße aus einer Regensburg - Prebrunner Hafnerwerkstatt, unter dem Lehmfußboden vergraben. Dieser Münzfund wird dem Krisenjahr 1388 als Vergrabungszeit zugeordnet. Es war jenes Jahr, in dem der Städtekrieg für Regensburg in eine entscheidende Phase trat. Ganz gleich welchen Vergrabungsgrund man annimmt, Heimlichkeit war allemal geboten. Neben diesem "Schatzkeller" wurde in einem ehemals kreuzgratgewölbten Halbkeller ein sehr fein gearbeiteter goldener Fingerring mit dem Siegel der jüdischen Gemeinde gefunden. Hier konnten auf knapp 16 qm Fläche 75 große Obstkisten Keramik des spätmittelalterlichen Judenviertels sogar teils intakt geborgen werden (die Obstkiste wurde oft spaßhaft als typische "Regensburger Fundeinheit" bezeichnet - in Wien erlauben die Fundmengen der Archäologen nur Tomatenkisterln als Archäologische Einheit).

document Neupfarrplatz: Treppenaufgang

Die Synagogen

Höhepunkt der Ausgrabungen, die zwischen 1995 bis 1998 das Bild des Neupfarrplatzes prägten, war sicherlich die Entdeckung der frühgotischen Synagoge. Bis zu diesem November 1995 hatte man das Gotteshaus unter der Neupfarrkirche vermutet. Albrecht Altdorfer, der berühmte Regensburger Maler und spätere Stadtbaumeister hatte die Synagoge kurz vor ihrer Zerstörung detailgenau gezeichnet, so dass die Archäologen und Bauforscher die ergrabenen Mauern im Westen der Kirche, den trapezförmigen Grundriss mit den drei großen Säulenfundamenten in der Mittelachse, als das jüdische Gotteshaus identifizieren konnten. Eine wissenschaftliche Sensation war dann aber die Erkenntnis, dass die "Altdorfer-Synagoge" auf einem wesentlich älteren Vorgängerbau stand. In ganz Deutschland sind mit Köln und Speyer nur drei Synagogen dieses Alters, vom Anfang des 12. Jahrhunderts, bekannt.

Rekonstruktion der Regensburger Synagoge (aus der Computeranimation)

Das document Neupfarrplatz

Diese fast tausendjährige Geschichte zu würdigen und daran zu erinnern war schon vor der Ausgrabung auf dem Neupfarrplatz ein Anliegen der Stadt Regensburg. Die qualitätvollen Keller innerhalb des sog. Bunkerauges auf der Nordseite des Neupfarrplatzes boten sich für ein Archäologisches Untergeschoß an. Nur hier konnte man durch den bestehenden Abgang in die Betonröhre dieses Luftschutzbunkers einen Zugang in Regensburgs Untergrund schaffen. Es entstand das document Neupfarrplatz.

Unter Dokument versteht man normalerweise einen Text, eine Urkunde oder ein schriftliches Zeugnis, das etwas über eine Person oder Personengruppe aussagt. Aus diesen Quellen speist sich die Geschichtswissenschaft und fügt sie zu neuen Texten - den Büchern und Aufsätzen zur Geschichte zusammen. Die Stadt Regensburg hat das große Glück, neben den schriftlichen Dokumenten in sehr großer Zahl gut lesbare gebaute Dokumente aus fast 2000 Jahren zu besitzen.

Durch das Hinabschreiten begibt sich der Besucher auf das Niveau der mittelalterlichen Keller, von denen aus das meterhohe archäologische Schichtpaket unter dem Neupfarrplatz erlebbar wird. Bei der Planung galt, nicht nur die ergrabenen Mauern im Originalzustand zu erhalten, sondern auch das Wachsen, Werden und Vergehen optisch eindringlich zu zeigen: Die Erdschichten, die einst qualitätvolle römische Bauten überziehen; eingeschlagene Kellergewölbe und unter der Last der Schuttmengen verdrückte Türschwellen und Rundbögen; das massive Fundament der Neupfarrkirche, das 1519 bis 1524 aus dem recycelten Baumaterial der zerstörten jüdischen Gebäude entstanden ist; und die Betonröhre des Ringbunkers aus dem Jahr 1940.

Die Regensburger Architekten Lydia Lehner und Franz Robold haben es vorzüglich geschafft, im document Neupfarrplatz die unterschiedlich alten Räume erlebbar zu machen. Durch die erhaltengebliebenen Gewölbeansätze ist es leicht, das einstige Raumgefühl nachzuvollziehen, zumal in einen Keller nach fast 500 Jahren Dunkelheit wieder das Tageslicht eindringen kann, durch eine 1 qm große Glasplatte, die im Platzbelag eingelassen ist.

Da die Präsentation der erhaltenen Bausubstanz auf Didaktik verzichtet, wurden im Bereich des aufgeschnittenen Ringbunkers, dem Foyer, kurze Erklärungstexte in Deutsch und Englisch angebracht. Zusammen mit den drei Fundobjekten, die als icons in beleuchteten Nischen stehen, verweisen sie auf die wichtigsten im document Neupfarrplatz greifbaren Geschichtsperioden: die Römerzeit, das mittelalterliche Judenviertel und die Wallfahrt "Zur Schönen Maria". Schabloneninschriften im Ringbunker erinnern an wichtige Ereignisse, die sich am Neupfarrplatz abgespielt haben: die Soldatenrevolte von 1796, die Ausrufung der Räterepublik 1919, die Bücherverbrennung 1933 und die Verfolgung der sogenannten Neupfarrplatzgruppe durch die Nationalsozialisten 1941/42.

Der Verzicht auf die übliche didaktische Ausstattung wird durch einen Dokumentarfilm von Sandro Herbrand kompensiert, der in einem der jüdischen Keller zu sehen ist. Er lädt den Besucher ein, sich auf eine Zeitreise ins Mittelalter zu begeben und von seinem Standort aus einen Gang durch das jüdische Viertel bis hin zur Synagoge anzutreten. Modernste Computertechnik und die mehr als ein Jahr währende akribische Arbeit des Grabungsteams unter der Leitung des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, der Bauforscher Stefan Ebeling (Regensburg) und Helge Svenshon (Technische Universität Darmstadt) sowie der Spezialisten der Fachhochschule Wiesbaden unter der Leitung von Prof. Falk Krebs und Edgar Brück machten dies möglich. Der virtuelle Gang zeigt die Judenstadt und ihre Synagoge wie sie nach dem fundierten Wissensstand um 1500 ausgesehen haben könnte. Die Existenz des dicht bebauten Wohnviertels, das durch einen Akt der Zerstörung aus dem Stadtbild Regensburgs verschwunden ist, lässt sich besonders eindringlich durch die am Bildschirm verführerisch echt wirkende Realität - auch wenn diese zugegebenermaßen in einem hohen Maße Rekonstruktion, also nur eine von vielen Möglichkeiten ist - vermitteln.

Keramik aus "Raum 13" während der Ausgrabungen

Für Schulklassen wird das document entsprechend der Jahrgangsstufen aufbereitet. Haptische Bedürfnisse sollen ebenso bedient werden wie der Geruchssinn, nach dem Motto: Lernen mit allen Sinnen. Mit einem Fragebogen, den die Schüler während der Exkursion ausfüllen, soll der Lehrkraft die Nacharbeit mit der Klasse erleichtert werden. Die Computeranimation - ein virtueller Spaziergang durch eine Gasse des jüdischen Viertels und durch die Synagoge - versetzt die Schülerinnen und Schüler in die Lebenswelt des Mittelalters.

Die Schüler können erfahren, wie man im document bzw. in der Ausgrabung auf dem Neupfarrplatz zu den Ergebnissen und Erkenntnissen gekommen ist. Die Methoden der Archäologen sollen ebenso wie die der Geschichtswissenschaften nachvollziehbar gemacht werden. Keramik aus der Ausgrabung ist zum Anfassen im document. Für die Kleineren sind zum Riechen und Raten die Gewürze der damaligen Zeit vorhanden, Stoffe wie Seide und Leinen sollen betastet werden, Leder befühlt. An Werksteinen - ehemalige Fensterstöcke oder Maßwerk - kann die Handwerkskunst des Mittelalters beurteilt werden.

Durch das document Neupfarrplatz wird der geschichtsträchtige Platz als Ganzes begreifbar, zusammengehalten durch die oberirdisch den Platz beherrschende Neupfarrkirche mit ihren tief hinabreichenden Fundamenten und durch die in den Platz eingeschobene Eingangstreppe von kühler Eleganz, die hinab in die Geschichte führt.

Das document Neupfarrplatz ist nur mit Führungen zugänglich. Für Einzelbesucher finden sie Donnerstag, Freitag und Samstag um 14.30 Uhr statt. Die Karten sind bei Tabak Götz erhältlich. Führungen für Gruppen und Schulklassen vermittelt das Fremdenverkehrsamt Regensburg, Tel. 507-3413.

document Neupfarrplatz
Tel. 507-1452 (Amt für Archiv und Denkmalpflege),
Fax: 507-4458
E-Mail: stadtarchiv.regensburg@schulen.regensburg.de
Internet: www.regensburg.de
Fotografien: Peter Ferstl und Herbert E. Brekle